Rupperswil
Eine Frau an der Spitze

Melinda Fuchs (31) aus Rupperswil absolvierte nach abgeschlossenem Studium die Ausbildung zur Lokführerin. Der «Aargauer Zeitung» verrät sie, was sie an der Arbeit im Führerstand so fasziniert.

Janine Gloor
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Melinda Fuchs gefällt die Einsamkeit im Führerstand.

Melinda Fuchs gefällt die Einsamkeit im Führerstand.

Foto: Claudio Thoma / Aargauer Z

Melinda Fuchs dreht am Handrad. Hinter ihr setzen sich 600 Tonnen in Bewegung. Fuchs ist Lokführerin bei den SBB.

Ein Abend im Hochsommer. Auf den unterirdischen Perrons des Zürcher Hauptbahnhofs fächeln sich die Passagiere die heisse Luft aus dem Gesicht. Eine Minute vor 21 Uhr, Abfahrtszeit für die S3 in Richtung Aargau. In Richtung Heimat. Melinda Fuchs (31) wohnt in Rupperswil.

Ein letzter Kontrollblick auf die Lämpchen im Führerstand und das Signal am Ende des Perrons. Grün, es geht los. Melinda Fuchs dreht das Rad nach rechts, der Zug fährt in den dunklen Schlund. Doch schon wenige Sekunden später erblickt die Lokführerin wieder das Tageslicht. Und was für eines.

Aus dem Führerstand hat sie die uneingeschränkte Sicht auf die Gleise, die hier am HB zusammenkommen. Jedes einzelne glänzt golden im Licht der untergehenden Sonne. «Im Sommer arbeite ich gern abends», sagt Melinda Fuchs. Wegen des Lichts. Auch ein Gewitter sei aus dem Führerstand ein faszinierender Anblick. Aber das Gegenlicht erschwert ihr die Arbeit. «In diesem Licht muss ich gut aufpassen, damit ich die Signale sehe», sagt sie.

Claudio Thoma

Rot wird nicht gerne gesehen

Für die Passagierzüge sind die Signale auf Augenhöhe der Lokführerin angebracht. Ist eines rot, muss der Zug gestoppt werden. Egal, wo er sich gerade befindet. Was bei den Passagieren zu Unverständnis und Ungeduld sorgen kann, nimmt Melinda Fuchs mit Gelassenheit. Sie ist grundsätzlich gelassen.

Zwar spricht sie schnell und bestimmt – auf Berndeutsch –, doch ihre Bewegungen im Führerstand sind ruhig und routiniert. Hardbrücke, erster Halt der S3 nach dem HB. Die Türen werden per Knopfdruck geöffnet. Sind sie offen, brennt ein rotes Lämpchen. Rot ist für Lokführerinnen eine spezielle Farbe. Eine Farbe, die sie nicht gern sehen. «Eigentlich sollte im Führerstand nichts rot leuchten», sagt Melinda Fuchs.

Nach Killwangen-Spreitenbach kommt der Heitersbergtunnel. Bevor sie in den Tunnel fährt, blickt Melinda Fuchs in den Seitenspiegel und wirft einen Blick auf den Zug. «Vor dem Tunnel machen wir eine Zugskontrolle, damit wir zum Beispiel nicht mit einem Brand in den Tunnel hineinfahren», sagt sie. Immer wieder schrillt ein Warnton im Führerstand.

Claudio Thoma

Kurz nach Einfahrt in den Heitersbergtunnel wird die Leitung des Zugs von Zürich an Olten übergeben. Der Warnton ist eine Kontrolle für die Lokführer; ein Signal, das sie quittieren müssen. Das Gleiche gilt für das grosse Pedal, auf dem die Füsse der Lokführerin platziert sind. Reagiert sie nicht auf den Ton oder lässt sie das Pedal los, fällt der Zug automatisch in den Langsamgang und steht zum Schluss ganz still.

Der Gedanke liess sie nicht los

Für viele ist der Beruf des Lokführers ein Kindheitstraum. Melinda Fuchs hat ein bisschen später angefangen zu träumen. Sie hat an der Universität Zürich Skandinavistik und Deutsche Sprachwissenschaft studiert, Norwegisch gelernt und je ein Jahr in Oslo und in Minneapolis (USA) gelebt. «Während des Studiums war ich von der Bahn fasziniert», sagt sie.

Doch weil eine damals angebotene Teilzeitausbildung nur ETH-Studenten offen stand, verwarf sie den Gedanken wieder. Nach dem Studium machte sie ein Praktikum beim Eidgenössischen Amt für auswärtige Angelegenheiten und arbeitete danach als Fachkoordinatorin bei der Sektion Unesco.

Doch der Gedanke an die Bahn liess sie nicht los, und so kündigte sie ihre Stelle und absolvierte die Ausbildung zur Lokführerin. Es gefällt ihr, ein Rädchen im SBB-Universum zu sein. Neben ihrer Arbeit als Lokführerin übernimmt sie auch Aufträge für Lektorat und Korrektorat. «Mit Leidenschaft», sagt sie.

Unterdessen ist die S-Bahn in ihrem westlichen Endbahnhof angekommen. In Aarau ist es dunkel, nur der Himmel schimmert noch blau. Der Zug wird 21.53 als Regioexpress wieder nach Zürich fahren. Melinda Fuchs wechselt vom Führerstand am Steuerwagen auf die Lokomotive am anderen Ende des Zuges. Es bleibt gerade genug Zeit für einen Kontrollgang durch den Zug. Ein WC ist defekt, Fuchs bringt einen Kleber an und meldet den Schaden via interner App.

Ein einsamer Job

Nach Rupperswil bringt Fuchs das Handrad in die neutrale Position, antriebslos rollt der Zug mit 100 Stundenkilometern auf das Schloss Lenzburg zu. «Das ist wahnsinnig, dieses Gewicht», sagt Melinda Fuchs. Dieses Gewicht, in ihren Händen. Nach Lenzburg dauert es 18 Minuten, bis der Zug im Hauptbahnhof einfährt.

Jetzt muss Melinda Fuchs den Koloss bremsen. Als sie zum ersten Mal hier einfahren musste, sei sie furchtbar nervös gewesen. Ein Prellbock. Ein Zug voller Passagiere. Ein Perron voller Zuschauer. Aber sie meisterte das Manöver hervorragend, genau wie auf dieser Fahrt.

Claudio Thoma

Zürich ist der letzte Halt dieser Verbindung. Nachdem die Passagiere ausgesteigen sind, wechselt Fuchs wieder in die Führerkabine am anderen Ende des Zuges. Als Lokführerin hat sie wenig Kontakt mit Passagieren. Sie geniesst die Einsamkeit im Führerstand. «Darauf war ich vorbereitet», sagt sie. Nicht vorbereitet war sie auf die Schichtarbeit. Morgens um drei aufzustehen, mache ihr mehr zu schaffen. Das Sozialleben und der Schlafrhythmus leiden darunter.

Der Zug verlässt den HB passagierlos. Nun ist es eine Rangierfahrt, für welche die kleinen dreieckigen Signale am Boden gelten. Sie werden Zwerge genannt. Der Zwerg gibt kein grünes Licht, zwei senkrecht übereinander stehende Lämpchen bedeuten Fahrt.

Nach mehreren Weichen ist der Zug in seinem Schlafquartier im Gleisfeld in Altstetten angekommen. Mittlerweile ist es ganz dunkel geworden. Zum letzten Mal für heute steuert Melinda Fuchs den Prellbock an und hält sanft davor. Feierabend. Im Ferienflieger würden die Passagiere jetzt klatschen.